Kollaboratives Wissensmanagement
in Agenturen. Wie geht das?
Für Agenturen ist Wissensmanagement eines der zentralen Werkzeuge, um Vorgänge im operativen Geschäft zu beschleunigen und neue Kompetenzen zu entwickeln. Wenn man genauer nachfragt, ist die eingesetzte Lösung aber oft nur ein statisches Wiki. Auf der Suche nach zukunftsweisenden Antworten haben wir mit Kerstin Tome, COO bei ion2s gesprochen. Die Darmstädter Digitalagentur hat ihr Wissensmanagement zu einer Plattform für kollaborative Zusammenarbeit weiterentwickelt.
Welche Bedeutung hat Wissensmanagement für eure Agentur?
Bei ion2s vereinen wir schon recht lange zwei Arbeitswelten miteinander – ion2s.business und ion2s.lab. Im Business-Bereich begleiten wir seit mehr als 15 Jahren unsere Kunden bei ihrer digitalen Transformation. In unserem hauseigenen Lab experimentieren, lernen und wachsen wir. Das kann auf vielerlei Weise geschehen: durch eigene Produktentwicklungen, Fortbildungen oder Analyseprojekte. In beiden Bereichen entsteht sehr viel wertvolles Wissen. Unsere Herausforderung bestand also darin, dieses Wissen dem gesamten Unternehmen – fachbereichs- und rollenübergreifend – zugänglich zu machen. Daher haben wir vor einiger Zeit das kollaborative Wissensmanagement eingeführt und in unserem Agenturalltag fest verankert.
Wie hat sich das Wissensmanagement bei ion2s über die Jahre entwickelt?
In kleinen Agenturen hat Wissensmanagement meist noch keinen großen Stellenwert, denn innerhalb eines kleinen Teams ist der Austausch in der Regel sowieso recht intensiv. Die Komplexität Wissen zu verteilen steigt jedoch mit der Größe eines Unternehmens. Auch bei ion2s sind wir bald an die Grenzen des persönlichen Austauschs gestoßen. Dieses Problem hat jedes Team zunächst für sich selbst gelöst – die einen setzten Redmine-Wikis ein, die anderen Google Drive oder Trello Boards. Es existierten kaum gemeinsame Regeln und eine teamübergreifende Wissensnutzung fand nur selten statt. Je größer und komplexer das Unternehmen und die Teamstrukturen wurden, desto weniger hilfreich waren die Wissenssammlungen. Das bisher erfasste Wissen war nicht komplett durchsuchbar, schwer pflegbar und die Informationen schnell veraltet. Irgendwann kam der Punkt, an dem wir festgestellt haben: ein durchdachtes Wissensmanagement muss her.
Unser Ziel war eine unternehmensweit einheitliche Lösung, die jedem Mitarbeiter den Zugang zu allen Learnings ermöglichen sollte. Google Docs, Trello und Co. sind zwar nützlich, was die kollaborative Zusammenarbeit angeht, aber auch hier sind wir schnell an Grenzen gestoßen. Die zahlreichen Trello-Boards wurden zunehmend unübersichtlich und im Google Speicher sammelten sich hunderte Dokumente – teilweise redundant, teilweise veraltet. Auch empfanden wir diese Form der Dokumentationen als wenig nachhaltig. Gefühlt beginnt man immer wieder von vorne auf einem weißen Blatt Papier. Letztlich war es dann das Thema Datenschutz, dass uns gänzlich von Google und anderen Onlinetools weggführte. Wir wollten unser Wissensmanagement auf eine gemeinsame Lösung reduzieren und diese möglichst auf einem eigenen Server hosten. Letztendlich haben wir uns daher für die Atlassian Welt mit Confluence als Dokumentationsplattform und Jira als Timetracking Lösung entschieden.
Wer war an der Planung beteiligt?
Zunächst stellten wir ein Kompetenzteam mit Vertretern aus den verschiedenen Unternehmenseinheiten zusammen. Deren Aufgabe war es, die Anforderungen der verschiedenen Abteilungen und die unternehmensweiten Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen. Bei der eigentlichen Einführung konnten sie so die einzelnen Teams optimal unterstützen. Die intensive Beteiligung bereits in der Planungsphase hatte den Vorteil, dass sich die Mitarbeiter über einen recht langen Zeitraum mit der Thematik auseinandersetzen konnten. Das hat uns einen Vorsprung in Sachen Akzeptanz gegeben.
Was bedeutet das an Zeit und Ressourcen?
Die Einführung eines guten und funktionierenden Wissensmanagements ist immer aufwändig – das war uns von Anfang an klar. Wir hatten ursprünglich mit 500 Personenstunden gerechnet, was aber letztlich nicht ausgereicht hat. Vom Kick-Off-Meeting mit dem Kompetenzteam bis zur unternehmensweiten Nutzung des Wiki und unseres neuen Ticketing-Systems hat es am Ende fast ein Jahr gedauert. Der Einsatz hat sich jedoch gelohnt und wir bereuen den Schritt in diese Richtung nicht.
Wie nutzt systemisches Denken mir und meiner Agentur?
Gab es Widerstände in der Agentur?
Eine so tiefgreifende Änderung etablierter Arbeitsabläufe ist nie leicht. Die meisten Menschen sind es gewohnt, ihr Wissen für sich zu behalten. Es stellt für sie einen persönlichen Wert dar. Daher war an vielen Stellen ein Umdenken nötig, das seine Zeit und viel Einfühlungsvermögen braucht. Denn Wissen teilen bedeutet letztlich auch Erfahrungen und Fehler teilen. Natürlich hat sich der Aufbau des Wissensmanagements aufgrund der langen Einführungszeit auch mit anderen Vorhaben überschnitten. Das führt natürlich zu Änderungen an den Anforderungen. Das zu kommunizieren war nicht immer ganz leicht. Aber wir haben denke ich einen sehr großen Anteil des #teamion gut auf die Zeit vorbereitet und waren mit dem Ablauf letztlich sehr zufrieden.
Was hat sich für die Mitarbeitenden verändert?
Für unsere Kollegen hat sich einiges geändert. Gerade neue Mitarbeiter profitieren gleich zu Beginn, denn sie haben Zugriff auf die Informationen aller Fachbereiche. Dort werden fachliche Standards, Tools und Prozesse genau beschrieben, so dass sie in der Regel ohne viele Fragen direkt starten können. Aber auch langjährige Mitarbeiter haben es durch das unternehmensweit zugängliche Teamwissen deutlich leichter, wenn sie das Team wechseln möchten. Das ist für unsere Azubis genauso interessant wie für neue Teammitglieder oder Springer. Auch im Alltag haben wir eine deutliche Verbesserung festgestellt. Antworten auf Fragen sind meistens in nur wenigen Minuten gefunden. Feedback kann direkt und an den richtigen Ansprechpartner adressiert werden.
Und was hat sich für die Agentur verändert?
Ich würde sagen, im gesamten Unternehmen findet gerade ein starkes Umdenken statt: Wir arbeiten zusammen an einer gemeinsamen Wissensbasis. Wissen wird aktiv und teamübergreifend geteilt. Das Wissen „gehört“ niemandem mehr. Es wird Eigentum aller – also vom „ich“ zum „wir“. Und es besteht ein gemeinsames Verständnis zu den einzelnen Themen. Auf dieser Basis können wir jetzt aufbauen, das System noch weiter verbessern.
Wie sorgt ihr für Nachhaltigkeit? Das System muss weiter gefüllt und genutzt werden.
Wir arbeiten wie gesagt gemeinsam an dem Bewusstsein, dass das Wissen nicht nur dem Autor, sondern allen gehört. Sobald jemand also Verbesserungsmöglichkeiten in einer Dokumentation sieht, wird der Inhalt direkt angepasst. Darüber hinaus nehmen die Teams unser Wiki nicht als reine Ablage für Dokumentationen wahr, sondern nutzen es täglich und aktiv eng mit dem Ticketing System verzahnt als Arbeitsinstrument. Wichtige Informationen werden intern über die Wiki-Blogs geteilt. So bleiben die geteilten Informationen über Neuerungen, Probleme oder Regelungen jeder Zeit einsehbar und werden zum Beispiel auch für neue Kollegen rückwirkend nachvollziehbar.
Habt ihr schon einen ersten Überblick, was wie und in welchem Umfang genutzt wird?
Unser Wiki bietet die Möglichkeit die Aktivitäten der Mitarbeiter zu messen, daher können wir sagen, dass unsere Kollegen das System in ihre tägliche Arbeit fest integriert haben. Dabei variiert der Umfang der Interaktion natürlich von Team zu Team. Es gibt einen übergreifenden ion2s-Bereich, in dem Informationen geteilt werden, die für alle Mitarbeitenden relevant sind. Das umfasst zum einen organisatorische Themen, zum Beispiel wie organisiert ion2s die fachliche Fortbildung, welche Möglichkeiten gibt es in Bezug auf eine flexible Arbeitszeiteinteilung oder wo kann ich mir Unterstützung holen, wenn das Team kurzfristig überlastet ist. Zum anderen finden sich aber auch Informationen zu Kulinarischem, gemeinsamen Aktivitäten oder Mitarbeiterrabatten wie zum Beispiel dem kostenlosen RMV-Ticket. Darüber hinaus hat jedes Team und jeder Fachbereich einen eigenen Bereich im Wiki-System. Hier werden Projektsteckbriefe verfasst und unternehmensweit gültige fachliche Standards dokumentiert. Gerade in Teams, die in vielen Unternehmensfeldern unterstützen, hat dieser Bereich einen sehr großen Stellenwert.
Welche Auswirkungen gibt es auf die Zusammenarbeit mit euren Kunden?
Zunächst einmal bieten wir unseren Kunden natürlich eine Zusammenarbeit im Bereich des Wissensmanagements an. Auf Wunsch bekommen sie Zugang zu einem abgeteilten Bereich in Confluence und Jira. Das nehmen bereits einige Kunden in Anspruch. Letztlich profitieren aber alle Kunden von unserem Wissensmanagement, denn bereits gemachte Erfahrungen und Lerneffekte können nun auf andere Kunden und deren Probleme übertragen werden. So lassen sich Arbeitsaufwände reduzieren und Lösungswege immer weiter verfeinern.
Keine interessanten Magazinbeiträge mehr verpassen.
Habt Ihr da auch verschiedene Stufen durchlaufen?
Ja, die Digitalisierung in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat sich in den letzten fünf Jahren in drei Stufen entwickelt. Die erste Stufe war eine gemeinsame Aufgaben-Übersicht in einem Kunden-Wiki. Statt die Briefings in Email-Form zu erhalten und zu qualifizieren – was häufig ein recht aufwändiges Unterfangen ist –, haben wir die Anforderungen für alle Beteiligten einsehbar in Confluence dokumentiert. Das brachte uns und unseren Kunden viel Transparenz und stellte eine gute Grundlage für gemeinsame Priorisierungen dar. Die Verantwortung für die Vollständigkeit der Übersicht lag jedoch zu diesem Zeitpunkt allein beim Projektmanager. Die Zeiterfassung erfolgte damals noch in einem separaten agenturinternen Tool.
Um auch im Ticketing mehr Transparenz zu schaffen, führten wir in einem zweiten Schritt ein gemeinsames Ticketing-Tool ein. Briefing, Arbeitsorganisation und Zeitbuchung waren also an einem Ort gebündelt einsehbar. Das hatte interessanterweise zur Folge, dass die Kunden sich für die Vollständigkeit und Priorisierungen mitverantwortlich fühlten. Erforderliche Maßnahmen zur Konkretisierung der Anforderungen konnten deutlich reduziert werden. Ein netter Nebeneffekt war auch, dass die Arbeitsweise der Kunden sich ebenfalls nach und nach vereinheitlichte.
Unser letzter und bisher größter Schritt war dann die Integration agiler Arbeitsmethoden wie SCRUM oder Kanban in unsere Systeme. Durch die kollaborative Zusammenarbeit in gemeinsamen Systemen rückten unsere Mitarbeiter viel näher an die Kunden heran. Die SCRUM-Teams umfassen heute auch Kollegen aus den Fachbereichen und der IT-Abteilung unserer Kunden und weitere externe Rollen. Die Zusammenarbeit zwischen den Kunden als Auftraggeber und ion2s als Auftragnehmer erfolgt so auf Augenhöhe. Noch zusätzlich unterstützt wird dies durch eine intensive und direkte Kommunikation auf kurzen Wegen zum Beispiel via Slack. Viele der ion2s-Teams sind auf diesem Weg mit den jeweiligen Kunden zu gemeinsamen Teams zusammengewachsen. Das war der wichtigste Schritt in unseren Augen.
Was macht für dich erfolgreiches Wissensmanagement aus?
In meinen Augen kann Wissensmanagement nur gelingen, wenn die Unternehmenskultur transparent, offen und kollaborativ ausgerichtet ist. Nur wenn ein Unternehmen Selbstorganisation unterstützt und informelles Lernen ermöglicht, kann ein solches Projekt erfolgreich sein. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass Wissensmanagement aktiv gepflegt werden muss. Bei der Einführung hatten wir uns dazu entschieden, kaum Regelungen zu definieren, um möglichst wenig Hürden zu schaffen. Damit das nicht im Chaos endet, haben wir vor einiger Zeit die Rolle des Wiki-Gärtners eingeführt. Unsere Wiki-Gärtner identifizieren redundante Inhalte, optimieren Formulierungen und sortieren die Beiträge in vielleicht noch besser geeignete Bereiche ein. Sie sorgen quasi für ein gepflegtes Wiki. Unser wichtigstes Learning war: Im Wissensmanagement mit möglichst wenigen Regeln starten und später Best Practices übernehmen und vereinheitlichen.
Gibt es aus deiner Sicht Alternativen in der heutigen Zeit als in ein komfortables Wissensmanagement zu investieren?
Diese Frage würde ich für ion2s mit einem klaren Nein beantworten. Um in der heutigen Zeit beweglich und reaktionsstark zu bleiben, haben wir einen Weg gewählt, auf dem wir Entscheidungsbefugnis immer stärker im Unternehmen verteilen können. Unsere Mitarbeiter agieren in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich relativ frei, müssen dafür aber zu jeder Zeit auf aktuelle Informationen zugreifen können. Nur so lassen sich belastbare Entscheidungen treffen. Dabei hilft uns das Wissensmanagement enorm.
Wie geht es nach der Einführung eures Wissensmanagements weiter?
Kerstin Tome: Es gibt noch sehr viel Wissen, das noch aufgebaut werden muss. Kompetenzen entwickeln sich, Themenbereiche werden neu erschlossen und neue Kollegen bringen frischen Input. Künftig geht es also um die Wissensentwicklung, die Initiierung von Lernprozessen und die Unterstützung des betrieblichen Lernens. Dabei ist in meinen Augen entscheidend, den Wissensstand im Unternehmen genau zu kennen und Freiräume zu schaffen, in denen Weiterentwicklung stattfinden kann. Zu wenig Struktur schafft blinde Flecken, zu viel davon verhindert Innovation und Fortschritt. Hier sehen wir unsere größte Herausforderung für die Zukunft